Ausgehen im Schatten der DDR – Das Nachtleben in Magdeburg 1989

Autorin: Viktoria Schackow

Sperrstunde, Bespitzelung, Musikquote – das Nachtleben in Magdeburg war 1989 geprägt von Regeln und Beschränkungen. Dennoch gingen viele Menschen gerne aus, tranken Klostergeflüster im Weinstudio Grün-Rot oder tanzten zu Schlager im Tanzcafé Nordlicht. Bei einem Streifzug durch Magdeburg entdeckt man viele vergessene Orte, in denen früher junge Menschen feierten. Vielen Gebäuden ist ihre wilde Vergangenheit kaum noch anzusehen.

Im Norden der Stadt, im Stadtteil Neue Neustadt, steht  in der Zielitzer Straße 48 ein grün gestrichenes Gebäude mit Flachdach. Es erinnert an eine Garage oder einen Bungalow. Doch hier befand sich das Tanzcafé Nordlicht, ein beliebtes Ziel für Tanzfreudige, „die Schlagerbude schlechthin“, weiß Burkhard Moll. Er war als junger Mann früher in der Kneipenszene Magdeburgs unterwegs, im Nordlicht war er allerdings nur zweimal. Heute erinnert dort nichts mehr an Schlagerpartys. Das Gebäude ist von einem grünen Zaun umgeben und mit Sicherheitskameras überwacht. Es steht derzeit leer.

Es geht auf den Campus. Im Hörsaal 5, wo heute das Physikgebäude steht und ein kleines Café im Erdgeschoss seinen Platz gefunden hat, kamen früher Bands zusammen und bespielten Studierende und ihre Freunde mit Musik. Auch heute ist der Hörsaal nicht nur ein Ort des Lernens. Hier finden immer noch Konzerte oder auch mal ein Kinoabend statt.

Nur ein Steinwurf von hier entfernt steht der Studentenklub Baracke. Auch wenn sich die Hülle verändert hat, hier wird heute immer noch kräftig gefeiert. Das Klientel ist das gleiche geblieben. Studierende strömen vor allem dienstags zum späten Abend hinein und bleiben bis zum Ladenschluss um vier Uhr. 1989 konnte nicht so lang gefeiert werden. In der DDR gab es für Gaststätten eine Sperrstunde. Damals waren die üblichen Ausgeh-Abende in Magdeburg der Mittwoch, Freitag und Samstag, erinnert sich Burkhard Moll: „Man ging früher los, weil die Abende nicht so lange waren.“ Mit der Sperrstunde arrangierten sich die Feiernden. „Mal gingen die Abende bis zwölf, mal bis ein Uhr und wenn er zu Ende war, dann ging es an der Elbe oder in Wohnungen weiter“, sagt Moll.

Noch ein Studentenklub, allerdings außerhalb des Campus’ war im Haus der Lehrer. Am Breiten Weg steht heute der Katharinenturm mit Supermarkt und Büros, früher wurde in dem Gebäude im Keller gefeiert. Hier soll es das billigste Bier der Stadt gegeben haben, erinnert sich ein damaliger Besucher. Eine Mark kostete hier ein großes Bier. Für Burkhard Moll war das Haus der Lehrer eine gute Alternative zum Weinstudio Grün-Rot. Das befand sich am Hasselbachplatz, wo sich heute Kneipen, Bars und Restaurants aneinanderreihen. Heute bietet dort das m2 eine große Auswahl an Getränken.

Wie Musikklubs die 60/40-Quote umgingen

Burkhard Moll strahlt, als er sich an seine frühere Stammkneipe, das Weinstudio Grün-Rot erinnert. Bestellt habe er immer Käsegitter und Wein, meistens Klostergeflüster, Cotnari oder Murfatla. Man musste aber schon jemanden kennen, um den serviert zu bekommen. Auch die Atmosphäre im Weinstudio war einzigartig. Jeder Besucher wollte immer im großen Fass sitzen, direkt beim Eingang. Das war der beste Platz und wenn jemand Neues dazu kam, „ist man einfach zusammengerutscht“, so Moll. Die Fenster der Bar waren aus Bleiglas und mit Magdeburger Motiven versehen, „das gab ein schönes Licht, das hatte was, das war wirklich ’ne geile Sache, muss ich schon sagen“, sagt Moll und lacht bei diesen fast vergessenen Erinnerungen.

Die Musik im Weinstudio Grün-Rot kam eigentlich immer von zwei Musikern, Heinz und Rudi – „die waren eigentlich immer da“, erzählt Burkhard Moll. Mit Instrumenten und Gesang haben sie so lange Musik gemacht „bis sie zu müde waren, oder eingeschlafen sind“, erinnert er sich. Von der sogenannten 60/40-Quote wollte man hier nichts wissen. Die DDR wollte mit dieser Regel die Westmusik auf 40 Prozent begrenzen. Also musste der größere Teil an einem Tanzabend heimische Musik sein. Ein  Besucher der Klubs erinnert sich aber nicht daran, dass sich an diese Regel gehalten wurde. Die Klubbetreiber und DJs wussten damals schon, wie man diese Quote umgeht. So wurden Titel aus der DDR direkt zu Beginn des Abends „oder vor dem Einlass gespielt, weil da noch niemand da war“, erklärt er.

Getanzt wurde aber fast zu jeder Musik. Besonders im Café des Speise- und Tanzlokals Stadt Prag direkt im Zentrum von Magdeburg. Zum Gedenken an das einstige Lokal prangt heute eine goldene Gravur auf der Außenwand des Gebäudes. Hier wurde früher auf zwei Etagen gefeiert, gegessen und getrunken. Heute stehen die Menschen hier unter anderem in einem Schnellrestaurant Schlange.

Ebenfalls verschwunden ist das einst legendäre Café Impro. Heute ein Antiquitätengeschäft, damals der wohl berühmteste Klub der subkulturellen Szene in Magdeburg. Hier in der Liebigstraße traf sich früher die Künstler- und Musikerszene und feierte ausgelassen und ohne Rücksicht auf Sperrstunde, Musikquote – und Bespitzelung. „Davon habe ich nichts mitbekommen“, sagt Burkhard Moll, und selbst wenn man bespitzelt wurde, habe man es sowieso nicht ändern können.

Vom Impro eine Straßenecke weiter wurde häufig weitergefeiert, und zwar in der Wohnzimmergalerie Bahß. Das Künstlerpaar Bahß lud Freunde und Bekannte oft zu ausschweifenden Partys, kritischen Lesungen und zeitgenössischen Ausstellungen ein. Wie Yvonne Fielder in ihrer Dissertation über „Kunst im Korridor“ 2013 aufgearbeitet hat, wurde es der Staatssicherheit irgendwann doch zu viel. Nach monatelanger Bespitzelung wurde das Künstlerpaar zur Befragung vorgeladen – und zur Ausreise gedrängt.